Anleitung zur Diagnostik und erste Therapieschritte - ADHS im Erwachsenenalter | 4

Liebe Community, wir arbeiten gerade an einer neuen ADHS & Autismus - Adressverzeichnis, welche ihr bereits ausführlich Testen könnt, es gibt viele neue Funktionen wie z.b. Bewertungen, Umkreissuche, nach Eigenschaften Filtern, Google Maps u.v.m.. Die ALTE ADRESSLISTE (Archive) wird nicht mehr gepflegt, auch können dort keine neuen Adressen eingetragen werden. Die Daten aus der alten Adressliste werde Schrittweise in die neue Adresseliste eingepfegt, dies ist sehr Zeitaufwändig.
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4. In unserer Patientenklientel befinden sich sogenannte „ADHS-Klassiker

Beispiel 1: Der 20-jährige, sehr großgewachsene, schlaksige junge Mann mit etwas unreiner Haut, ungepflegt und hippelig, blickt in der Therapiestunde sehr unkonzentriert um sich; er konsumiert größere Mengen THC, beschäftigt sich sehr häufig mit seinen PC-Spielen. Er kennt sich selbst nicht richtig und schafft es kaum, Termine einzuhalten. Wenn er nur zehn Minuten zu spät zur Sitzung kommt, ist das ein Therapieerfolg (ernst gemeint). Er erzählt seine Geschichte, bevor er sitzt, und kennt nur Niederlagen, Aggressionen, kommt aus einer Unterschichtsfamilie, deren Angehörige ähnliches Scheitern und ähnliche Suchtprobleme zu berichten haben. Aber er zeigt sich auch sehr dankbar für die Mühe, die sich der Therapeut macht, flippt bei Ungerechtigkeiten aus und hat deshalb schon einen Arbeitsplatz verloren. Er fängt beim Verlassen der Praxis schon im Treppenhaus an zu rauchen.


Beispiel 2: Häufig stellen sich junge Patientinnen mit einer früheren Borderline-Diagnose als ADHSlerinnen heraus. Jeder Diagnostiker vergibt eben nur die Diagnosen, die er kennt. Bei Borderline exploriere ich immer ganz genau. Es gibt aber auch die Doppeldiagnose: ADHS und Borderline zusammen sind nicht selten; gerade hier sollten dann Stimulanzien geben werden. Auch Borderline-Symptome können eventuell zurückgehen, weil die Behandlung der ADHS stabilisierend wirkt. 17


Wenn Sie trainiert sind, kommen Sie zum Teil schnell zu einer Diagnose bzw. zu einer Verdachtsdiagnose ADHS, weil viele ADHSler sehr klassische Symptome und Beeinträchtigungen haben. Individuelle Abweichungen in Teilbereichen des Gesamtmusters ADHS sind allerdings auch häufig zu finden und verwirren den ungeübten Diagnostiker. Es heißt deshalb, dass jeder eine „individuelle ADHS“ hat.


Ein Dauer-Problem ist allerdings, dass die meisten „ADHS-Symptome“ unspezifisch sind, d. h. bei der gesunden Bevölkerung und bei anderen psychiatrischen Erkrankungen auch vorkommen. Entscheidend ist oft die Quantität: z. B. sehr häufige Flüchtigkeitsfehler, deutliche Stimmungsstörungen, starke motorische und innere Unruhe. Zentral ist: Sie müssen das „Gesamtsymptommuster ADHS“ kennen und erkennen. Viele einzeln gesehen - unspezifische Symptome ergeben in der Gesamtschau erst ADHS als Störungsbild.


Da auch die Vererbung eine bedeutende Rolle spielt, haben Sie immer gleich einen ganzen Familienclan als mögliche Patienten vor sich, wenn Sie gerade eine Diagnose vergeben haben. Meiner Einschätzung nach hat mindestens ein Elternteil ADHS, manchmal sogar beide. Geschwister, Cousins, Tanten und Onkel können ebenfalls betroffen sein. Es kommt also zur Häufung von ADHS und psychiatrischen Erkrankungen im familiären Umfeld. Oft sind in diesen Familien auch noch Asperger-Autismus, Tic-Erkrankungen und Hochbegabungen zu finden.18

Zur Diagnostik und auch während der Behandlung können Sie die Angehörigen mit einladen. Der Fremdbeurteilung durch die Familie kommt aufgrund der manchmal geringen Selbstwahrnehmungsfähigkeit insbesondere junger ADHSler große Bedeutung zu, auch wenn manche Angehörige bei den Auskünften und in den Fragebögen tendenziös sind. Außerdem sollten wichtige Familienmitglieder davon überzeugt werden, dass ADHS auch wirklich vorliegt. Wenn diese Störung in der Familie nicht akzeptiert wird, blockiert der Patient eventuell lange. Auch haben Betroffene immer wieder mit Falschinformationen aus dem Fernsehen oder den Social Media zu kämpfen. Dass Ritalin kontraproduktiv oder sogar schädlich sei, wird weiterhin verbreitet, auch von Ärzten und Therapeuten.

Die ADHS-Klientel kann sehr verschieden sein

Beispiel 1: Eine gut gekleidete zwanghafte Bankerin kann ein „strukturiertes ADHS“ haben. Sie hat bishermit viel Ehrgeiz, Ordnungsliebe und Willen das ADHS-Chaos und ihre innere Unruhe bzw. dieStimmungsstörungen im Griff gehabt. Mit einsetzenden Wechseljahren sinkt jedoch der Östrogenspiegel,damit auch die Dopamin-Konzentration im Gehirn. Die bisherige Kompensation reicht nicht mehr aus; die Patientin kommt in ein „Burn-out“ und die Konflikte am Arbeitsplatz sowie zu Hause nehmen zu. Sie fängt wieder an, zu rauchen und kommt in eine psychosomatische Klinik. 19


Beispiel 2: Ein ehemaliger Strafgefangener kann betroffen sein; er war schon als Kind immer impulsiv und aggressiv, hat nie eine Ausbildung zu Ende gebracht, nimmt THC oder Amphetamine ein. Eine stationäre Suchtbehandlung wurde gemacht, aber eventuell abgebrochen. Eine kurze Zeit lang hat er vielleicht auch auf der Straße gelebt. Er ist verurteilt wegen Körperverletzungen, BTM-Verstößen, Diebstählen und Fahren ohne Führerschein, hat gescheiterte Beziehungen und problematische Partnerwahlen hinter sich.


Beispiel 3: Auch eine aufopferungsvolle, „brave“ 40-jährige Mutter von zwei ADHS-Kindern und einem autistischen Kind kann betroffen sein. Bei genauer Exploration stellt sich heraus, dass auch sie in der Schule Schwierigkeiten hatte, die sich aber ausgewachsen haben; ihre heftigen Stimmungsstörungen hält sie für normal; sie hat sich bisher immer wacker durchs Leben gekämpft und nie etwas anmerken lassen. Aber jeden Abend weint sie im Bett und ist verzweifelt, weil ihr ebenfalls von ADHS betroffener Mann grob und abweisend ist und keinerlei Erziehungsaufgaben übernimmt. Die Rückmeldungen aus der Schule ihrer Kinder werden zudem immer drastischer; ihr weist man dafür permanent die Schuld zu. Sie selbst ist über ihre Suizidgedanken erschrocken und wird diese nicht schnell preisgeben.

Es gibt bestimmte Berufe, die ADHSler häufig wählen

Sie sind häufig tätig als: Künstler, Musiker, Informatiker, selbständige Unternehmer, Verkäufer, Außendienstler, LKW-Fahrer, Lagerarbeiter, Rettungssanitäter, Garten- und Landschaftsbauer, Bundeswehrangehörige und Polizisten. Auch viele Freizeitmusiker finden sich unter den Patienten mit ADHS. Musik und ADHS gehören häufig zusammen!


Was gar nicht geht, sind langweilige Arbeitsplätze mit wenig Abwechslung und vielen Routinevorgängen. Der Betroffene wird sich sehr schnell fast körperlich-schmerzhaft unwohl fühlen und versuchen, dieser Unterstimulation zu entkommen. Möglich ist es, dass eine missmutig-depressive Stimmung bei ihm entsteht. Mit der ständigen Rastlosigkeit und dem Getrieben-Sein versucht der ADHSler, dieser Unterstimulation zu entkommen. Schicken Sie ihn nie in einen Erholungsurlaub mit Entspannung und Entschleunigung. Er wird Ärger machen und ihm wird soviel „Blödsinn“ einfallen, dass sich auch seine Umgebung nicht erholt.20 Da er fortgesetzt „Action“ braucht, kann eine Berentung eine Art „Todesurteil“ sein.21



Anleitung zur Diagnostik und erste Therapieschritte - ADHS im Erwachsenenalter

Dipl.-Psych. Jörg Dreher, jdreher57

Psychotherapeut mit Schwerpunkt ADHS im Erwachsenenalter / Transitionspraxis

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